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Glasperlen, Fischernetze und Erstaunensgeneratoren

Ich war in den letzten zwei Wochen viel unterwegs und entsprechend eingespannt. Ein Blog zu pflegen, ist da noch möglich, eine echte inhaltliche Weiterführung des Theorieverwendungs-Gedankens in schriftlicher Form eher nicht. Dennoch erlaubt das Herumreisen Überlegungen.

Mit Dank an den fragenden Christian zuerst ein Antwortversuch: Mir geht es gerade nicht darum, einzelne Autoren als rigide Architekten oder als flexible Bastler einzuordnen. Beide, Bourdieu und Luhmann, haben viel komplexere Ansätze, die eine solche einfache Einordnung verbieten. Bourdieu etwa hat das Habituskonzept – gerade auch in der Analyse des Bildungssystems und der akademischen Welt – an ein recht rigides Macht- und Klassenverständnis geknüpft und so seine Heuristik viel stabiler gemacht als nötig; Luhmanns Analyse der Ausdifferenzierung der Funktionssysteme oder die Arbeiten zum Wandel semantischer Formen im Nachgang der Katastrophe funktionaler Differenzierung hingegen sind zwar durch ein stabiles Vergleichsvokabular geordnet, ansonsten aber empirisch extrem offen.

Mir ging es eher um einen anderen Punkt: gerade diese beiden Autoren sind ein hervorragendes Beispiel genau dafür, dass sich die Arbeit an einer theoretischen Position gar nicht sinnvoll in rigide und flexible Vorgehensweisen einordnen lassen. Vermutlich ist diese feste Zuordnung eher ein Modus der Darstellung, Auseinandersetzung und Kritik. Will ich etwa Garfinkel kritisieren, dann sage ich: der hat ja gar kein Begriffsgebäude. Will ich Parsons kritisieren, kann ich sagen: was für ein hübsch polierter Setzkasten. Beides greift nicht wirklich. Theoriearbeit aber scheint mir dann besonders fruchtbar zu sein, wenn sie zu Heuristiken führt, manchmal auch zu Begriffen und Vokabularen, die Erstaunen generieren können, indem sie konstant dafür sorgen, dass man im empirischen Material nicht Bekanntes, sondern Fremdes entdeckt. Luhmann und Bourdieu waren darin gut, beide waren sich der Tatsache sehr bewusst, dass Theorien auch mal radikal umgebaut werden müssen, um das zu leisten – man denke an Luhmanns autopoietische Wende oder an Bourdieus Abkehr vom Strukturalismus.

Nimmt man die Idee von der Theorie als Erstaunensgenerator noch ernster, dann kann man zu dem Schluss kommen, dass man in dem Moment skeptisch werden muss, wenn Theorien zu stabil werden. Sie verlieren dann nämlich ihre Fähigkeit, Bekanntes fremd aussehen zu lassen und sie neigen dann dazu (vgl. dazu Peter Wagners “A History and Theory of the Social Sciences”, Sage 2001) eine Gesellschaft mit zu produzieren, die sie verfremdend zu beschreiben suchten.


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